Project XIII
Kapitel Eins: XIII
Durch die engen Lüftungsschächte des ChiTron-Gebäudes krabbelte eine kleine Ratte flink um die todbringenden Hindernisse. Doch die Ratte hatte nicht vor, das Zeitliche zu segnen, denn sie wollte zur Küche und noch eine letzte Gaumenfreude erleben. Sie spürte in ihrem Innersten, dass etwas schlimmes passieren würde, doch statt zu fliehen, wollte sie noch einmal etwas von diesem köstlichen Käse stibitzen, den der Chefkoch immer in diesem Kühlschrank aufbewahrte, der nur durch einen Tastencode geöffnet werden konnte. Die Ratte hatte jedoch hinten im Kühlschrank eine kleine Öffnung für die Kabel entdeckt, durch die sie, so mager wie sie jetzt war, mühelos hindurchhuschen konnte. Währendem sie so durch den Schacht flitzte, der sich über dem Kontrollraum der Labore befand, träumte sie von diesem delikaten, würzigen Stück Käse, wobei ihr ein wenig Sabber aus dem kleinen Mund hing. Doch genau dieser Tropfen wurde ihr zum Verhängnis. Denn die Luftschächte waren mit Elektroden versehen, welche mit einer gewaltigen Ladung, die die Ratte nun zu spüren bekam, gespeist wurden. Der Sabber leitete den Strom sofort weiter an die Ratte, die noch ein letztes Mal an den Käse dachte, ehe sie tot und im hohen Bogen durch ein Gitter im Lüftungsschacht flog und zusammen mit dem metallenen Gitter zu Boden krachte.
Der Mann an den Terminals, der eine lange Kutte trug und ein gewaltiges Schwert auf dem Rücken geschnallt hat - die Kapuze tief ins Gesicht gezogen - schreckte kurz auf und sah sich um und sah die tote Ratte. Er war alleine im Kontrollraum, der während des späten Nachmittages meist leer war. Das kam ihm gelegen, denn er gehörte auch nicht zum Personal, das sich für gewöhnlich dort aufhalten würde. Er tippte kurze Befehle auf der Tastatur ein, sah sich immer wieder über die Schulter, sowie auf die Uhr an seinem Handgelenk. Diese Uhr war kein gewöhnlicher Zeitmesser. Sie war ein leistungsfähiger Minicomputer, der gerade mit den Terminals verbunden war, und neben der Zeit auch eine Leiste anzeigte, die sich von Sekunde zu Sekunde füllte. „Dämliche Ratten. Man könnte meinen, die Labore seien zumindest steril“, seufzte er und klopfte mit den Füssen auf den Boden im Takt, mit dem auch die Prozentanzeige um einen Zehntelprozent anstieg. „Irgendwie ist es zu einfach“, murmelte er, „und die Leistung dieses Prozessors hält auch nicht, was die Werbung verspricht“, nörgelte er weiter, und bemerkte nicht, wie sich jemand - jetzt wo er ein wenig abgelenkt war - von hinten näherte. „Das liegt daran, dass du streng geheime Unterlagen aus einem Hochsicherheitsprotokoll kopierst“, antwortete ihm eine gelangweilte Stimme. Der Mann am Steuerpult lachte trocken, tippte jedoch unbesorgt weiter. „Es tut mir leid XIII, aber ich wurde geschickt, um dich daran zu hindern, unsere Organisation zu sabotieren“ – „Ist dir ChiTron nicht eigentlich Schnuppe, XII? Du kümmerst dich ja nicht mal darum, dass sie Mit Osaeru zusammenarbeiten“, sprach XIII um Zeit zu schinden und sah wie der Balken bereits zu 96,8% gefüllt war. „Mag sein, dass sie hier und da ein paar Menschen tödlich verletzen - Kollateralschaden -, aber mir ist das, wie du bereits treffend bemerkt hast, eigentlich egal. Hier habe ich ein Dach über dem Kopf, krieg was zu essen und bin vor der verseuchten Welt da draussen geschützt“, erwiderte er belanglos.
In diesem Moment tauchte eine kleine, katzenähnliche Gestalt auf der Schulter von XII auf und begrüsste XIII pfotenwinkend. „Lass das, wir sind nicht wegen einer Plauderstunde hier“ – „Nicht? Wieso rufst du mich dann?“ Auch XII hatte seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen, so dass ihn seine Mimik nicht verraten konnte. Seiner Stimme nach zu urteilen, war er ziemlich gelangweilt davon, immer die Drecksarbeit erledigen zu müssen. Er nahm einen langen Holzstab von seinem Rücken, den er mit der rechten Hand hielt und auf XIII richtete. „Ich muss dich auffordern, deine Waffe und dein Tool abzulegen, und dich mit erhobenen Händen umzudrehen. Und Lorelei…“ – „Ja?“ – „Halt dich ruhig, bis du meinst, du müssest einschreiten“ – „Geht klar“, antwortete Lorelei und klettere blitzschnell von der einen Schulter zur anderen. Die Anzeige auf XIII’s Tool erreichte 100%. Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein verborgenes Gesicht. „Leider kann ich deiner Aufforderung nicht folge leisten“, sagte XIII und tippte noch weitere Befehle ein, worauf die Sirenen aufheulten und er sich an XII wandte. Trotz der Panik die bereits ausbrach, blieben XII und XIII ganz gelassen. „Du willst die ganze Anlage in die Luft jagen?“ – „Wäre zumindest der erste Schritt zur Rettung der Erde, findest du nicht?“ – „Ich finde, dass man die schon lange vor diesem 3. Weltkrieg nicht mehr hätte retten können.“ XIII seufzte und packte den Griff seiner Waffe und löste es mit einer Bewegung von der Schnalle. Obwohl es fast so lang war, wie er selbst gross, hielt er es in einer Hand und richtete es auf XII. Die metallene Klinge war grob und nur einschneidig. Der Griff war aus dem härtesten Holz, das auf der Erde zu finden. „Willst du nicht dein Chihana rufen?“, fragte XII lächelnd. „Nicht nötig“, antworte XIII und sprang auf ihn zu.
„Das war gemein“, tadelte ihn Kairi, währendem sie durch die labyrinthähnlichen Gänge des Gebäudes rannten „Was war gemein?“, fragte XIII Kairi, obwohl er die Antwort bereits wusste. Er hatte XII im Glauben gelassen, er würde ohne Kairi kämpfen. „Dass du ihn gleich mit einer solchen Attacke angreifst meine ich!“, doch Kairi musste bei diesen Worten selbst ein wenig Lächeln. „Du weißt genau, dass wir uns keine Blösse geben dürfen, alles oder nichts.“ Er sah auf sein Tool, wo der Countdown angezeigt wurde, dabei hielt er sich, ohne dass Kairi es sehen konnte, die Seite. XII hatte ihn ebenfalls erwischt. Auch Kairi erhaschte einen Blick auf die Zeit. „Das wird knapp“, bemerkte sie. Kairi war im Gegensatz zu anderen Chihana nicht eine tierische Gestalt, sondern durch und durch menschlich. Abgesehen vielleicht von ihren Flügeln. Ihre blauen Augen sahen durch den langen Korridor, der bereits menschenleer war und ihr schulterlanges orangerotes Haar flatterte im Wind. „Das wird nicht knapp, das schaffen wir nicht“, widersprach XIII ihr. Eine bedrückende Stille kam auf, währendem sie zum Klang der Sirenen und XIII’s Schritten durch die Gänge rannten. „Wieso rennst du dann noch?“, fragte Kairi ihn kleinlaut. Doch XIII gab keine Antwort. Der Timer auf seiner Uhr zeigte 1 Minute 48 Sekunden. Sein Herz schlug immer schneller. Er überlegte kurz, wo er war und was er noch tun könnte, doch ihm kam nur ein Ausweg in den Sinn. „Kairi…“, begann er. Sie hörte bereits am Klang seiner Stimme, dass er nichts Gutes zu sagen hatte. „Kairi, vereine dich wieder mit mir“, sagte er tonlos. Der Timer zeigte 1 Minute 17 Sekunden. Für Kairi brach in diesen Sekunden eine Welt ein, denn zurück zu gehen bedeutete, nicht mehr einfach zurückkommen zu können. Es bedeute, XIII’s verlassen zu müssen. „Aber wieso?“ – „Ich will nicht dass dir etwas geschieht. Und das ist nur gewährleistet, wenn du dich wieder mit mir verbindest. Ich werde schon einen Weg finden, dich zurück zu holen, aber das kann ich nur, wenn du überlebst!“, sagte er laut durch seine Kapuze und rannte unbeirrt weiter. Noch 51 Sekunden. „Ich will nicht von dir fort. Ich will bei dir bleiben. Ich will mit dir kämpfen, selbst wenn es bedeutet zu sterben“, jammerte sie leise und begann zu weinen.
Die kleinen Tränen liefen über ihr kleines, sanftes Gesicht. Noch 36 Sekunden und vor ihnen tauchte die Cafeteria auf, deren Wände nach aussen aus Panzerglas waren. „Verschwinde auf der Stelle oder ich helfe mit Gewalt nach!“, schrie XIII sie an. Kairis Herz schien zu zerspringen. Noch nie zuvor war XIII so grob zu ihr gewesen. Doch sie verstand wieso. Trotz der Trauer in ihrem Herzen lächelte sie. „Man sieht sich“, sagte sie ehe sich ihr Körper in winzige, farbig leuchtende Partikel auflöste und in den Körper von XIII strömte. Er beachtete sie nicht, sondern zog sein Schwert und hielt es jedoch hinter seinem Rücken, um Schwung zu holen. Noch 18 Sekunden. Er schwang die mächtige Klinge und eine Druckwelle prallte gegen das Panzerglas, die so stark war, dass das mächtige Glas zerbrach. Noch 11 Sekunden und 150 Meter trennten ihn von seinem Notausgang. Er steckte all seine Kraft in die Beine, als er losrannte. Die Kraft, mit der er sich jedes Mal vom Boden abstiess, war so stark, dass der harte Marmorboden Risse bekam und seine Fussabdrücke zu sehen waren, als wäre er über Schnee gelaufen. Sein Herz raste, wie noch nie zuvor. Das Blut lief ihm an der Seite hinab, wo XII ihn getroffen hatte. Wäre er nicht verletzt, wäre die ganze Mission kein Problem gewesen. Doch so war die Zeitspanne bis zur Explosion viel zu knapp. Doch er musste es schaffen. Nicht nur für sich oder Kairi, sondern für die Menschheit, die den Kampf gegen das Unvermeidliche noch nicht aufgegeben hatte. Seine Kapuze streifte von seinem Kopf und zeigte das verbissene Gesicht eines jungen Mannes. Sein silbernes Haar wehte in der Zugluft, die durch das zerbrochene Fenster hereinwehte. Seine hellblauen Augen, waren der Spiegel seiner Seele und darin spiegelte sich im Moment die nackte Angst. Eine feine Narbe zog sich über seine linke Wange. Noch 4 Sekunden. Er hatte die Wand beinahe erreicht, als er hinter sich bereits die ersten Explosionen hörte. Er erreichte den Vorsprung gerade, als der Timer zu piepen begann und sprang ab.
Das ChiTron-Gebäude war mitten im verseuchten Gebiet aufgebaut worden, wo es kaum noch Leben gab. Rundherum waren kilometerweit nur Ruinen aus dem vorigen Jahrtausend zu sehen, in welchem der 3. Weltkrieg ein Ende fand. Diese Ruinen waren nur noch von solchen bewohnt, die nicht mehr wussten, wohin sie gehen sollten und ohne Hoffnung waren. Es war Abend, als XIII durch die Luft segelte und für einen Moment die untergehende Sonne bewundern konnte. Ehe er sich darauf besann, in welcher Situation er sich befand. Er befand sich 130 Meter über dem Boden und überlegte sich gerade wie er auf die absurde Idee kam, das zu überleben. Doch jetzt war es zu spät noch mal drüber nach zu denken. Die Explosion war gewaltig. Das Gebäude, das in der Umgebung so massiv wirkte, wurde von den zahlreichen Explosionen förmlich zerfetzt. Als XIII sich über die Schulter blickte, sah er, wie die Trümmer ihn zu treffen drohte. Er benutzte Schwert, um die Trümmer abzuwehren, was in der Luft und ohne Kairi ziemlich schwer war. Als er glaubte, den letzten erwischt zu haben, flog eine halbe Wand auf ihn zu und traf ihn so hart, dass er das Bewusstsein verlor und reglos Richtung Boden stürzte.
Er knallte gegen das Dach einer kleinen Kapelle und riss ein Loch hinein, brach durch mehrere Stützbalken des Dachs, die seinen Sturz schmerzvoll bremsten. Schmerzvoll prallte er schlussendlich auf dem Boden auf. Doch der war seltsam weich. Er regte sich, hatte aber keine Kraft mehr sich zu bewegen. Doch er roch etwas. Es war etwas, dass er seit langem nicht mehr gerochen hatte. „Blumen?“, hauchte er über seine Lippen. In der Luft hatte er sein Schwert losgelassen, als ihn die Wand erwischt hatte. Als ihm das bewusst wurde, sah er gerade wie etwas anderes durch das Dach fiel und neben ihm in der Erde stecken blieb, sein Schwert. „Glück muss man haben“, raunte er schwach grinsend und verlor erneut das Bewusstsein